Alchemie der Zeichen
-über die künstlerische Arbeit von Christiane Spatt

Vielerlei semiotische Systeme umgeben uns. Wir bewegen uns in möblierten Landschaften, nehmen unbewusst Signale der verschiedensten Systeme auf oder übertragen selbst unsere Systeme auf unterschiedlichste Objekte. Gibt es in all dem Dekor, in all den Verkleidungen und Mustern, mit denen wir uns umgeben, Zusammenhänge oder herrscht völlige Beziehungslosigkeit?
Christiane Spatt ist Sammlerin und Jägerin zugleich. Eine Art Freibeuterin des öffentlichen und privaten Raums sammelt sie „objets trouvés“ aller Art, wobei ihre Sammlung nicht aus Gegenständen besteht, sondern aus Ausschnitten, die sie mit der Kamera festhält. Look up, look down – indoor und outdoor, quer durch Natur und Architektur: Die Wahl der fotografierten bzw. später nach den Fotos gemalten Details folgt keinerlei hierarchischen Ordnungen, sondern weist konsequente Äquidistanz auf, was dem von der Künstlerin bevorzugten Prinzip des Patchworks entspricht.
Muster transportieren Bruchstücke von ästhetischen Konventionen, Konventionen des Geschmacks, die ihrerseits brüchig, ekklektizistisch, disparat und kohärent zugleich sind.
In ihren Patchworks löst die Künstlerin die dinglichen, räumlichen und soziokulturellen Kontexte völlig auf. In der Arbeit „collection“ fotografiert sie beispielsweise im Haus ihrer Mutter Fliesen, Bodenbeläge, Wandverkleidungen, Schrankelemente usw.: Linoleum, Resopal, vielerlei Kunststoff – also die typischen Surrogate der 60er und 70er Jahre, die den Einzug der industriellen Welt in die Sphäre der privaten Haushalte signalisieren. Die durchschnittliche Kleinfamilie strebte einerseits nach Modernität, hielt andrerseits an tradierten Werten (Trachtenstoffe, florale Tapetenmuster) fest.. Die Künstlerin greift beide Tendenzen auf, ohne sie zu bewerten.
Geht es Christiane Spatt um die Dekonstruktion der Kindheitswelt oder bedient sie sich einfach aus dem großen Fundus der Alltagskultur um eine erinnerte innere Welt zu rekonstruieren?
Es ist ein Prozess der Annäherung, der langsamen Kontaktaufnahme mit der Welt der Mutter und des frühen eigenen Erlebens. Das Sensorium, das diese intensive, präzise Wahrnehmung leitet, ist ein warmes, lebendiges: Die in frühen Jahren aufgenommenen ästhetischen Eindrücke haben sich mit Gefühlen amalgiert, die um nichts in ihrer Intensität verringert sind, einzig der veränderte Erfahrungszusammenhang der Künstlerin lässt sie nun vertraut und fremd , nah und fern zugleich erscheinen:
„Was wir in die äußere Realität projezieren, kann kaum etwas anderes sein als die Erkenntnis eines Zustands, in dem ein Ding den Sinnen und dem Bewusstsein gegeben, präsent ist, neben welchem ein anderer besteht, in dem das selbe latent ist,
aber wiedererscheinen kann, also die Koexistenz von Wahrnehmen und Erinnern, oder ins Allgemeine ausgedehnt, die Existenz unbewusster Seelenvorgänge neben den bewussten.
Man könnte sagen, der „Geist“ einer Person oder eines Dinges reduziere sich in letzter Analyse auf deren Fähigkeit, erinnert oder vorgestellt zu werden, wenn sie der Wahrnehmung entzogen sind.“ (Sigmund Freud, Totem und Tabu)
Dem warmen Prozeß des Erinnerns gegenläufig ist der der künstlerischen Umsetzung: Die fotografische Ablichtung wird dem gewohnten Licht des täglichen Umgangs entzogen. Auffällig ist eine gedeckte fast lichtlose Acrylpalette. Spatt wählt Zoom-Ausschnitte, die die typischen ästhetischen Elemente nochmals inszenieren und dadurch verfremden. Ein kühler, distanzierter Blick wie durch ein Mikroskop legt Strukturen frei, die plötzlich, losgelöst von ihrem ursprünglichen Zusammenhang fremd erscheinen. Sind es Ornamente oder Organstrukturen, sind es Muster oder technische Zeichnungen, sind es Materialstrukturen oder Traumlandschaften?
Dieser individuelle Prozess der Aneignung, den die Künstlerin durchlebt hat, obliegt nun dem Betrachter, der beginnt, rudimentäre Systeme zu rekonstruieren bzw. Ansätze zu neuen Systemen zu etablieren.
Die auf den ersten Blick willkürliche Anordnung der Bruchstücke einer privaten und doch typischen Ästhetik setzt nach längerer Betrachtung einen Prozess der Umdeutung und Übertragung in Gang.

Martha Bösch