Helga Köcher
Emergence of Projects und ViennAvant

Kultur als Konditionierung?

Immer üppiger schwelgt Wien in der Euphorie „Wir sind die Größten!“ Die Kulturpolitik hat die Fokussierung auf Mega-Ereignisse und Stars massiv verstärkt. Events zählen mehr als kontinuierliche künstlerische und kulturelle Arbeit. Eine Woche Song Contest war der Stadt viele Millionen wert. „Ganz Wien fiebert mit“ wurde kolportiert. Was machte es aus, dass der österreichische Beitrag bescheiden war? Wichtig war die Eintragung ins Guinness Buch der Rekorde. Für die Premiere von „Mission Impossible“ mit Tom Cruise wurde die Staatsoper zu einem riesigen IMAX-Kino umgebaut und der Ring für drei Tage gesperrt. Größer, noch größer und natürlich „populärer“…

Im Mai 2015 hat eine Schar von lebensgroßen Kunstfiguren den Wiener Karlsplatz bevölkert. Diese „Kultis“ der Aktion „Hunger auf Kunst und Kultur“ wollten darauf aufmerksam machen, dass sich nicht alle Menschen Kunst und Kultur leisten können. Die Barrieren sind aber nicht nur finanziell. Die meisten Menschen gehören nicht mehr „dazu“. Sie dürfen draußen auf Videoscreens zuschauen, wie die Prominenz die großen Ereignisse genießt. Und diese Selektion betrifft nicht nur das Publikum. Während wenige Stars gefeiert werden, ist das Schaffen der meisten Künstlerinnen und Künstler ein Balanceakt am Existenzminimum – und die Studie „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“ stellte bereits 2008 fest, dass das Problem nicht nur ein finanzielles ist: „Zu wenig Interesse erfährt die zeitgenössische Kunst in diesem Land, zu schwach ist der Wunsch nach einer eigenständigen Kunstszene mit internationalem Profil, zu wenig wird den Kunstschaffenden zugetraut und zu wenig Wertschätzung wird ihnen und ihrer Arbeit entgegengebracht.“

Kunst- und Kulturschaffende können heute nicht mehr die Entwicklung mitgestalten wie im kulturellen Aufbruch Wiens vor einem Jahrhundert. Statt wahrgenommen und einbezogen zu werden, erfahren die Künstlerinnen und Künstler eine ähnliche Marginalisierung wie die Zielgruppen der Aktion „Hunger auf Kunst und Kultur“. Produktives Kunstschaffen erfordert substantielle Förderung. Qualität bedarf der ökonomischen Grundlage und sozialen Absicherung. Nur dadurch ist kontinuierliches Arbeiten und damit künstlerische Entwicklung möglich. Diesen Aspekt missachtet aber die auf Projekt- statt Basisförderung ausgerichtete Kulturpolitik Wiens und vergeudet damit Talente.

Der Kunstmarkt funktioniert unter neoliberalen Bedingungen. Die Kulturpolitik setzt keine Gegenimpulse, sondern spielt mit in einer unheiligen Allianz, die mit Kunst und Kultur immer weniger zu tun hat. Blockbuster, Superevents, Massenveranstaltungen. Da fühlt sich die Stadtpolitik groß. Aber was wird damit transportiert? Die Frage nach Kultur ist eng mit der Frage nach den politischen Zielen eines Gemeinwesens verbunden.

Für Neil Postman war bereits 1985 klar: „Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr – das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.“

Dass diese Konditionierung zum Konsumieren von Spektakeln die Demokratie erodiert und einem Rechtsruck Vorschub leistet, wollen die politisch Verantwortlichen offenbar nicht sehen. Marginalisierung bringt Menschen dazu, andere zu marginalisieren. Gesellschaft-licher Zusammenhalt wird nicht mit Bewunderungsbühnen für Prominenz erreicht. Nötig sind Orte der Begegnung mit Infrastruktur für schöpferische und engagierte Menschen. Nötig ist Offenheit, ist Ermutigung, sind Räume der Kommunikation, in denen die Stadt mit ihren Kunst- und Kulturschaffenden an gemeinsamen Visionen für unsere Zukunft arbeitet.