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Mit zunehmender Vernetzung wird das Engagement von immer mehr Menschen sichtbar. Insbesondere die Betroffenen-Bewegung ist in manchen Teilen Österreichs sehr aktiv. Der folgende Artikel berücksichtigt diese Initiativen nicht oder nicht ausreichend. Ich muss mich dafür schämen und bitte um weitere Hinweise. Die betreffende Scham soll dabei nicht nur mich treffen, sondern das gesamte psychosoziale Feld in dem ich arbeite.

Autonome Betroffen-Initativen:
– Omnibus, Vorarlberg: www.psychiatrie-erfahrene.at
– Achterbahn, Steiermark: www.achterbahn.st
– Oberösterreich, hier gab und gibt es verschiedene Initiativen, Kontakt: www.exitsozial.at

In Wien gibt es desweiteren eine Peer Beratung bei Pro Mente und eine Betroffenen Interessen-Vertretung beim Verein LOK, Leben ohne Krankenhaus, sowie zahlreiche Selbsthilfegruppen.

Nicht besprochen werden auch die Aktivitäten von Scientology unter verschiedenem Decknamen, die zum Teil sehr sichtbar sind. Die Schuld für derartige Strategien der Inszenierung von Horror und Traumatisierung trifft durch Unterlassung auch viele anerkannte Institutionen und ProfessionistInnen. Ohnmacht kann nicht nur Empowerment auslösen, sondern destruktive Prozesse.

ARTIKEL

Antipsychiatrie und Psychiatriekritik in Österreich

Markus Schallhas
Malmoe (43), Herbst 2008, S. 26.

Die Geschichte der psychiatriekritischen Bewegung in Österreich wurde bis heute nicht geschrieben. Ich gehe davon aus, dass die folgende Darstellung einige Initiativen unberücksichtigt lässt. Kritik an der Psychiatrie hieß zunächst dem Nationalsozialismus ins Auge sehen. Das dauerte. Erst 1976 setzte sich die Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin und Volksgesundheit für die gerichtliche Verfolgung des Arztes Dr. Gross ein. Die Entstehung einer psychiatrikritischen Initiative im engeren Sinn ereignete sich ebenfalls erst 1976. Im Anschluss an den Vortrag eines Mitarbeiters Basaglias in Wien bildete sich die „Demokratische Psychiatrie“ und erfreute sich schnell regen Zulaufs. Sie erarbeitete nach italienischem Vorbild (vgl. nebenstehenden Artikel von Elisabeth Fraller) eine Mischung aus radikalen, pragmatischen und gesellschaftspolitischen Forderungen. Insbesondere durch zwei Sendungen des „Club 2“ gelang es die Öffentlichkeit zu erreichen. Demonstrationen und Protesten auf der Baumgartner Höhe, vor dem dortigen Otto Wagner Spital, folgten Initiativen in Graz, Linz und Hall/Tirol. Antipsychiatrischen AutorInnen wurden gelesen, ohne dass die entstandene Bewegung selbst diesen Charakter annahm. Schließlich kam es zur längst überfälligen Reform und zur großen Zeit der Gemeinde- und Sozialpsychiatrie. Zahlreiche Menschen reisten nach Triest zu Basaglia. Der Direktor von Gugging/Niederösterreich Marksteiner lud AktivistInnen zur Mitarbeit ein. Anfang der 80er löste sich die Demokratische Psychiatrie auf. Kritisch engagierte sich auch die etwas konservativere Organisation „Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter“ (HPE), welche bis heute existiert.

In den 80ern entstand auf der Baumgartner Höhe das selbstverwaltete PatientenInnen Café „Komm 24“, das etwa zur Hälfte aus AktivistInnen bestand, von denen ein guter Teil der Autonomen Bewegung zugerechnet werden kann. Die betreffende Gruppe nannte sich „Kritik, Aktion, Information“ oder KAI. Es kam zur Beratung beim Absetzen von Medikamenten, der Ablehnung medizinischer Diagnosen, Fluchthilfe und Begleitung in Krisen. Kulturelle und politische Veranstaltungen sollten Menschen von außen ins Spital bringen. Im Unterschied zum „Sozialistischen Patientenkollektiv“ (SPK) in Deutschland war der Einsatz von Gewalt kein Thema. Das SPK wurde in Österreich erst in den 90ern mit einer kleine Gruppe aktiv, die insbesondere mit dem Verkauf von Informationsmaterialien bis heute Ausdauer beweist. Die Selbstverwaltung des Komm 24 wurde Anfang der 90er in der Folge eines Konflikts um unerlaubte medizinische Beratung und der Umgestaltung der Fassade durch die Polizei beendet. Dabei kam es auch zur Besetzung.

Die Psychiatrie hat während all dessen ihr Gesicht grundlegend verändert. Ähnlich wie die sozialen Auseinandersetzungen zur Umgestaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystem vom Fordismus zum Postfordismus beitrugen, veränderten sie auch das Produktionsregime der Psychiatrie. Seit den 90ern betreibt neben dem SPK das „Forum Antipsychiatrischer Initiativen“ (FAPI) radikale Politik und lädt den Schweizer Antipsychiater Marc Rufer regelmäßig zu gut besuchten Vorträgen. Kritische Diskussionen innerhalb der Institutionen sind rar. Der Verein „Leben ohne Krankenhaus“ (LOK) organisierte 2007 trotz allem einen Kongress, auf dem MitarbeiterInnen vom Berliner Weglaufhaus und dem Hotel Magnus Stenbock in Schweden sprachen.

Alternative Projekte wurden in Österreich nicht aufgebaut. Die bürgerlichen Formen und ihre Ersatzkonstrukte Arbeit/Beschäftigungstherapie, Familie/betreute WG bilden nach wie vor den Horizont, in den der Wahnsinn nötigenfalls mit Gewalt gepresst werden muss. Gelingt die Integration nicht, kommt es zum Einsatz der klassischen Institutionen des Ausschlusses. Eine wichtige nichtpsychiatrische Initiative ist das Projekt Windhorse. Dieses praktiziert einen buddhistisch inspirierten, egalitären Ansatz der individuellen Psychosebegleitung. Nicht übersehen werden sollten die weitgehend unsichtbaren Praktiken einzelner Personen.

Auf der rechtlichen Ebene setzten die Bewegungen mit dem Unterbringungsgesetz 1991 ein Stück weit Utopisches durch. Im Unterschied zu anderen Ländern ist Behandlungsbedürftigkeit kein Grund für ein zwangsweise Unterbringung mehr. Lediglich konkrete Selbst- oder Fremdgefährdungen auf Grund einer psychischen Erkrankung können eine solche rechtfertigen. Das „Recht auf Wahnsinn“ ist damit teilweise Realität. Des Weiteren macht das Vorliegen von Alternativen eine Unterbringung unzulässig. Der Gesetzestext trägt der Möglichkeit einer „andere Welt“ Rechnung. Eine wesentliche Errungenschaft ist das Patientenverfügungsgesetz 2006, das es erlaubt bestimmte Medikamente im Vorhinein abzulehnen. Betroffenen steht für alle diese Fragen eine eigene Patientenanwaltschaft zur Verfügung. Im Alltag wurden die angeführten Rechte bis jetzt nur beschränkt umgesetzt. 2008 erregten wieder Skandale die Öffentlichkeit. Es starben in Wien und Graz ans Bett gebundene bzw. in einem Netzbett liegende PatientInnen.