Erde, Mond und Migration

Die Geologie ist die Wissenschaft von den Vorgängen auf und in der Erde sowie den Nachbarplaneten und Monden. Im Laufe der Erdgeschichte sind Kontinente entstanden und wieder zerbrochen, Lebewesen aufgetreten und wieder ausgestorben und große Landflächen unter Vergletscherungen begraben und wieder aufgetaut. Durch den großen Hitzestau in unserer Erde und die variable Bahn um die Sonne sind Veränderungen in unterschiedlichsten, zeitlichen und räumlichen Dimensionen auf unserem Planeten an der Tagesordnung. Wanderung von Pflanzen, Nomadentum von Mensch und Tier waren über Jahrmillionen eine Folge dieser jahreszeitlichen, klimatischen und tektonischen Veränderungen. Seit etwa 10 000 Jahren, also seit dem Beginn der Nacheiszeit, ist der Mensch auf der Basis der neolithischen Revolution sesshaft geworden und versucht Veränderungen an Ort und Stelle mit einigem Erfolg zu trotzen. Vulkanisch oder klimatisch bedingte Missernten führten aber auch während dieser klimatisch vergleichsweise äußerst stabilen Nacheiszeit immer wieder zu tödlichen Hungersnöten und großen Wanderbewegungen.

Die entscheidende Basis für unser fixistisches Lebensmodell der Sesshaftigkeit seit der neolithischen Revolution stellt die außergewöhnliche Stabilitätsphase der letzten Jahrtausende dar. In den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten können sich wieder klimatische und morphologische Veränderungen auf der Erdoberfläche ergeben, die diesen Rahmen sprengen. Ein neues Nachdenken über Sesshaftigkeit und Migration erscheint aus erdgeschichtlicher Sicht angeraten zu sein. Beweglichkeit könnte sich als der entscheidende Schlüssel für das Überleben der Menschheit im anbrechenden Jahrtausend herausstellen. Das Verhindern von Migration aus Gebieten, die beispielsweise durch Meeresspiegelschwankungen überflutet werden, dürfte die soziale Nachhaltigkeit unserer Lebensform in Frage stellen und in Form von Konflikten und Kriegen das Überleben der Menschheit bedrohen. Das Prinzip der Sesshaftigkeit erscheint für Menschen, Tiere und Pflanzen nur während der Zeiten stabilen Klimas auf der Erde brauchbar. Für die kommenden Jahrzehnte bis Jahrhunderte sollte dem „Naturgesetz Migration“ so früh, wie möglich Raum eingeräumt werden, damit sich die Zahl eventueller Opfer des Wandels gering hält. Der „großer Schritt für die Menschheit“ über die engen Grenzen der Erde hinaus zum Mond, hat sich leider für die Lösung der (Raum)Probleme auf der Erde als unbrauchbar herausgestellt.

Markus Fiebig
Lehrstuhl für Quartärgeologie
Forschungsfokus: „Global & climate change“
Universität für Bodenkultur Wien
Institut für Angewandte Geologie (IAG)
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