Zu den Werken

REBECCA SAUNDERS „Caerulean“ (2010/11) für Bassklarinette

Die langjährige Zusammenarbeit mit Carl Rosman führte mich dazu, eine komplexe Palette von Stille, unstabile und fragile Klänge für die Bassklarinette, zu erforschen. Die zwei und drei-teiligen Klänge oder Paare werden durch Vertauschung von zwei Serien schwach geblasener Töne kombiniert, von denen alle miteinander kombiniert werden können und dann sich weiter mit doppelten Trillerfiguren, Flatterzunge und eine Vielzahl an klangfarblichen Nuancen ausdifferenzieren. Die notwendig flüchtigen Pianissimo Klänge faszinieren mich aufgrund ihrer innewohnenden Fragilität, Vergänglichkeit und Schönheit, sowie ihrer Fähigkeit aufzutauchen und wieder in Stille zu entschwinden, wie wenn der kompositorische Akt darin bestünde, Klänge zu enthüllen, sie aus der Reserve der Stille zu locken. Neue Erkundungen zeigen auf, dass Klänge, die laut gespielt werden, überraschend direkt und intensiv waren und mir so ermöglichten, einen extremen klangfarblichen Kontrast an formal kritischen Momenten innerhalb der gesamten Komposition einzusetzen. Letzten Endes kann dieses Solo ebenfalls als einfache ein- bis drei-teilige melodische Linie gehört werden, endlos in sich kreisend. Ein Zitat von Samuel Beckett kristallisiert gewisse Gedanken heraus, die mich während des Kompositionsprozesses beschäftigten: .„..The strokes now faint now clear as if carried by the wind but not a breath and the cries now faint now clear. … As he stood there all bowed down and to his ears faint from deep within again and again oh…“ (Samuel Beckett: Stirrings Still. 1986–89, John Calder Publisher, London.)

BEAT FURRER „auf tönernen füssen“ für Stimme und Flöte nach einem Text von Friederike Mayröcker (2001)

Die Verbindung von Stimme und Flöte zieht sich seit vielen Jahren durch Beat Furrers Schaffen. Ein Initialpunkt für die Komposition für Sprechstimme und Flöte war 1999 ein Werk zum 75. Geburtstag von Friederike Mayröcker. In auf tönernen Füssen kombiniert Beat Furrer ein Gedicht aus den späten fünfziger Jahren “Etwas wie Küsten kleefarben und Gewahrsam der Meere” mit einem berühmten Titel der Dichterin: “Arie auf tönernen Füßen” war 1998 ein Hörspiel überschrieben. Im Atmen, in geräuschhaften Plosivlauten, melodischen Floskeln treffen sich Sprache und Instrument, verschränken sich ineinander, sollen bisweilen kaum unterscheidbar sein. Eine eigene Notationsweise trennt in Ereignisschichten: Mund und Finger haben ein je eigenes System, entsprechend mehrschichtig ist das Spiel der Flöte. Sprachhafte Artikulation, Konsonanten, stimmhaftes oder geblasenes Atemgeräusch werden als Gestaltungsmittel vom Agieren der Finger und Klappengeräuschen separiert. Auch “ordinario” geblasene Töne werden mit verschiedenen Mundstellungen variiert, weitere Ebenen treten durch Überblasstufen hinzu. Entsprechend agiert die Stimme im Zwischenbereich von Flüstern und stimmhafter Sprache. Mayröckers Text verschränkt naturhafte Bilder und Befindlichkeiten in einer Fülle von evokativen Momenten, er ist ein fortgesetztes bildhaftes Umschreiben eines Zustandes. Diesen Vorgang des sprachlichen Vorantastens, eines Beobachtens und Geschichtenerzählens, ohne dass der Gegenstand greifbar würde, bringt Furrers Komposition zum Klingen. Nach der Arbeit mit fragmentierter Sprache etwa in Narcissus (1994) geht es hier darum, dass der rezitierte Text immer verständlich bleiben soll. Zäsuren schaffen den Raum für die Flöte, sie führt Bewegungen des Sprachklangs weiter und installiert schließlich regelmäßige Muster. “Ich wollte musikalisch einen Raum zu Mayröckers suggestiv theatralischer Szenerie hinzuschaffen, ohne die Semantik des Textes zu zerstören. Dabei führen verschiedene Stufen der Stilisierung vom Sprechen hin zu elementaren Geräuschen fast zu einem Ansatz des Singens und treffen sich dort mit der Artikulation der Flöte.” Marie Luise Maintz

KLAUS LANG Weisse Schatten (2008) für 2 Basskarinetten

REINHOLD SCHINWALD „nICHt“ für Stimme und Flöte (2013 Auftrag Wien Modern)

Eine Frau erinnert sich, stockend. Biographie-Bruchstücke erzählen von Gewalt, Lieblosigkeit, Zensur. Ihr Widerruf vielleicht. An-Sprechen gegen die Leere. Und eine Stimme, wie aus ihrer dritten Person heraustretend: ” . . was? . . wer? . . nein! . . sie! . . ”. Die Wand zwischen der sprechenden Instanz und dem Angesprochenen wird brüchig, worauf sich weitere Eruptionen von Erinnerungen ereignen: Wer oder was spricht? Wessen Geschichte wird erzählt? nICHt ist die Konfrontation zwischen Textschicht und musikalischer Artikulation. Die Leerstellen des inneren Dramas sind aufgehoben in der musikalisch erklingenden Schrift. Beschreibungen zwischen Innen- und Aussenwelt sind auf Frau / Flöte / Stimme übertragen: ” . . die ganze Zeit das Sausen . . dumpfes Rauschen wie Wasserfall . . und der Strahl . . flackernd . . an und aus . . ” Flötentöne halten Zwiesprache mit der erinnerten, vielleicht auch verlorenen Stimme einer anderen Person, die sich unwillkürlich wiederholt in einem unablässigen Schwall – ” . . schmerzlos . . bislang . . ha! . . bislang . . ”

CHRISTOPH HERNDLER quicksand (2010) für 2 Bassklarinetten

“Die Musik zieht wie Treibsand beständig in eine Richtung.”

ZESSES SEGLIAS (UA, neue Fassung) lone[singless]ness für Stimme und Flöte

lone[singless]ness is an effort for a sonic depiction for e.e. cummings‘s poem l(a.

JORGE SÁNCHEZ-CHIONG aka JSX for Albert Ayler (2004) für 2 Bassklarinetten

“Das Stück ist auf seine Art ziemlich altmodisch, sehr „old fashioned free jazz“, brachial, durchgehend explodierend, wie so viele Improabende, die ich gerne damals besuchte.” (JSX)

CHRISTOPH HERNDLER (UA, neue Fassung) apallisches Syndrom für Stimme und 2 Bassklarinetten nach einem Text von Angela Flam

Jede Unordnung bedarf unterschiedlicher Einzelteile. Gelingt es die Einzelteile als Ganzes zu erfassen, zeigt sich in der anfänglichen Unordnung Ordnung – die Teile werden zum Ganzen, sie lösen sich im Ganzen auf. Dieser Gedanke als Ausgangspunkt für die Arbeit am “apallischen Syndrom” führte mich zur Metapher der Farbe, die im Aufeinandertreffen farbiger Einzelteile entweder etwas Buntes oder etwas Monochromes generiert. Steht nun das Monochrome als Bild für das Ganze, so verweist das Bunte auf das Fragmentierte. In beide Richtungen führt ein Weg, der für diese Arbeit folgendermaßen definiert wird: Der Weg vom Unbunten zum Bunten als Weg des Vergessens, der Weg vom Bunten zum Monochromen als Weg des Erfassens. Das Erfassen zeigt das Ganze als Eins – aber das Erfassen gleicht immer auch dem Nicht-Erfassen, da es sich nur dann als Ganzes zeigt, wenn der Weg bereits beschritten ist und die Bewegung ruht. Dieser Ruhe entspringt die musikalische Wahrnehmung in ihr sind wir still, während es sich um uns bewegt. Folgen wir aber der Linearität des Verstehens, dann bewegen wir uns, während um uns die Bewegung friert. Verläuft das Verstehen entlang des Vergessens, so erhebt sich die musikalische Wahrnehmung und blickt auf das Ganze von oben. Wie aus der Vogelperspektive nimmt sie die Teile als Ganzes wahr. Ihr Vergessen ist ein Fokussieren und nicht ein der Linearität inhärentes Folgern. Sie vergisst, weil sie nicht versteht, sondern hört. Sie erinnert, weil der hörbare Klang vom Vergessen getragen wird. Musik aus Klang als geistige Vibration kann nicht verstanden werden, denn sie selbst ist es, die ein Verstehen schafft. In diesem Fokus des Nicht Verstehens spielt das “apallische Syndrom”.